Segelfliegen - Rekrutenschule für Piloten?

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Moderator: aerotimmi

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swisseagle
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Segelfliegen - Rekrutenschule für Piloten?

Beitrag von swisseagle »

Die Ueberzeugung alter Seebären ist ja schon sprichwörtlich, dass ein guter Kapitän nur jener wurde, der seine Ausbildung auf einem der berühmten Grosssegler durchlaufen hatte. Gestählt von Wind und Wetter, bewährt in Sturm und tobender See, gefordert von harter Seemannsarbeit - das war der Schliff gehärteter Seeleute, die ihre Schiffe über die Ozeane durch alle Widernisse hindurch sicher an ihr Ziel brachten.

Eine fliegerische Ausbildung erfordert natürlich keine aviatischen Haudegen, aber ein Korn Aehnlichkeit in den Anforderungen lässt sich im Vergleich doch nicht ignorieren:
Wir sind im Laufe der Jahrzehnte vielfach zu technokratischen Apparatschiks geworden. Oft zählt das fliegerische Gefühl, das bekanntlich im Gesäss und nicht im Kopf sitzt, nicht mehr viel. Das wird speziell im Motorflug deutlich, wo nur noch die überbordende Elektronik mehr und mehr das Mass aller Dinge zu sein scheint. Da wird alles und jedes penibel berechnet, Handbücher hin- und her gewälzt, Tabellen durchforstet - nur der gesunde Menschenverstand und das Feeling, das jeder gute Reiter gegenüber seinem Pferd besitzen sollte, bleibt kläglich auf der Strecke.
Da fragt man sich schon, ob nicht eine Segelflugausbildung am Beginn einer Pilotenlaufbahn stehen sollte, um jenes Feingefühl zu entwickeln und zu kultivieren, das einen Flugschüler vom Rohdiamanten zu einem hochkarätigen Piloteur werden lässt.

Im März 1961 hatte ich meinen ersten Schulflug auf einem Segelflugzeug-Doppelsitzer vom Typ Mü 13 E "Bergfalke" im Schlepp einer Dornier Do 27 der deutschen Bundeswehr absolviert. Hinter mir als Fluglehrer sass ein Hauptmann und Jetpilot. Sein trockener Kommentar nach der ersten Landung: "Du wirst ein guter Pilot". Das kann ich bis heute, nach rund 60 Jahren aktiver Fliegerei, immer noch nicht nachvollziehen. Wie konnte mich der Mann, nach einem Flug von ca. zehn Minuten, so beurteilen?
Wahrscheinlich war er aus früheren Zeiten mit dem Prinzip "flying by the nature method" besser vertraut, als ich damals ahnen konnte.
Jedenfalls bin ich der Ueberzeugung, dass mir die damalige Segelflugausbildung im Flugzeug- und Windenschlepp, (begleitet von kompetenten und erfahrenen Fluglehrern), jenes Rüstzeug vermittelte, das mich sechs Jahrzehnte ohne einen Kratzer an Mensch und Material überstehen liess.
Für das Austarieren der Segler hinter dem Schleppflugzeug oder im steilen Steigflug an der Schleppwinde war "Knüppeln" mit Fingerspitzengefühl gefragt. Auch bei stundenlangen Thermikflügen konnte man mit theoretisch-geistigen Klimmzügen wenig anfangen. Solide abgestimmte Handarbeit mit gefühlvollem Zentrieren der Aufwindschläuche brachte es. Bei Aussenlandungen auf oft knapp bemessenem geeignetem Gelände musste der Anflug sauber geplant erfolgen und auf Anhieb passen. Es gab ja nur eine Möglichkeit. Meine frühere Betätigung als Modellbauer- und Flieger liess mich beim manntragenden Fliegen immer wieder geistig ausserhalb meines Fliegers mitfliegen und die Steuerbewegungen mental umsetzen. Eine sehr hilfreiche Methode, um jede Bewegung des Fliegers zu verinnerlichen.

Kommen wir zu des Pudels Kern: Würde jeder angehende Pilot, bevor er einen Propeller vor der Nase hat, das echte Fliegen in einem Segelflugzeug erleben, wäre das mit Sicherheit ein grosser Praxisgewinn und trüge entscheidend zur Vermeidung vermeidbarer Unfälle bei. :idea:


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