Ju 52 Absturz am Piz Segnas - Schweiz

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swisseagle
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Ju 52 Absturz am Piz Segnas - Schweiz

Beitrag von swisseagle »

Die zum Teil haarsträubenden Theorien und "Erkenntnisse" vieler sogenannter Experten zum Absturz der Ju 52 HB-HOT der schweizerischen JU Air, die zur Zeit durch die Medien und Foren geistern, halte ich für sehr bedenklich.

Ich bin kein "sehr erfahrener Berufspilot" sondern seit Jahrzehnten Segelflieger und langjähriger Pilot von Reisemotorseglern.
Meine deutlich mehr als 1000 Flugstunden habe ich vorwiegend in den Schweizer Bergen erflogen.
Auch die Gebirgsfliegerei kann sehr sicher und relativ risikolos sein, wenn man einige elementare Grundsätze beachtet: Einwandfreie Wetterverhältnisse, genügende Höhe und respektvoller Abstand zu Felsformationen, offener Rückweg bei Wetter- oder technischen Problemen talwärts. Besondere Aufmerksamkeit sind Scher- und Fallwinden, Kabeln und Transportseilen von Bergbahnen etc. zu schenken.
Den Segnas-Pass, der zu einer meiner Standardrouten gehört, kenne ich sehr gut. Ich quere die Passhöhe nicht von der Westseite, sondern in der Regel nach einem Flug vom Unterland, via Zürichsee, Walensee, Chur und Flims von der Ostseite her. Die Höhe beträgt dabei niemals weniger als 3'300 m MSL - also mit reichlichen Reserven. Bisher hatte ich auf diesen Flügen nie Probleme. Der gestreckte Sinkflug führt dann über Elm, den ehemaligen Militärflugplatz Mollis, an der Alpensegelflugschule Schänis vorbei wieder zurück zum Heimatflugplatz.

Auch die Alpenüberquerung via Gotthard-Pass nach Locarno-Magadino mit dem bescheiden motorisierten Reisemotorsegler, die ich bereits mehrmals geflogen hatte, ist kein Problem, wenn die Gegebenheiten stimmen.

Den Spekulationen über den Absturz der dreimotorigen Junkers will und kann ich mich nicht anschliessen. Für mich - und ich betone für m i c h - ist die Ursache jedoch ziemlich klar: Die Besatzung will ihren Passagieren auf dem Rückflug noch etwas Besonderes bieten und fliegt - eventuell mit reduzierter Reisegeschwindikeit - unterhalb der Gipfelregion des Piz Segnas am sogenannten Martinsloch in der Felsflanke vorbei. Dann dreht die Ju 52 in eine Linkskurve nach Süden und gerät in den Rückenwind der Nordost-Strömung und zugleich in heftige Leeturbulenzen, was zum plötzlichen Strömungsabriss führt. Die Ju 52 schmiert über die linke Tragläche ab und geht in einen senkrechten Sturzflug über, der mangels ausreichender Höhe über Grund nicht mehr abgefangen werden kann. Das Drama ist perfekt.

Ich bin sehr gespannt, was der amtliche Untersuchungsbericht zu den Ursachen dieses folgenreichen Crash's feststellen wird.


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swisseagle
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Re: Ju 52 Absturz am Piz Segnas - Schweiz

Beitrag von swisseagle »

Ja, da scheine ich mit meiner damaligen Analyse der Absturzursache ziemlich richtig gelegen zu haben, wie die Vorabveröffentlichung aus dem offiziellen Untersuchungsbericht leider zeigt.


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swisseagle
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Re: Ju 52 Absturz am Piz Segnas - Schweiz

Beitrag von swisseagle »

Der Abschlussbericht über die genauen Ursachen des Ju 52 Absturzes scheint nach wie vor weiter auf sich warten zu lassen. Offensichtlich gibt es immer noch kein Ergebnis wegen widersprüchlicher Erkenntnisse aus dem Unfallhergang. Ein jüngster Pressebericht zitiert einen Experten, der zu der Feststellung gekommen scheint, dass eine unzulässige Schwerpunktverlagerung im Flugzeug nach hinten neben Böeneinflüssen zum Strömungsabriss und nachfolgendem Abkippen der Ju 52 über die linke Tragfläche geführt haben könnte.
Als ich seinerzeit die Bilder der letzten Phase des Fluges der Junkers betrachtete, fiel mir der leicht angestellte Flugzustand um die Querachse in der finalen Linkskurve auf. Dies könnte, wie sich der Experte äussert, tatsächlich auf eine Art Sackflug unmittelbar vor dem Absturz hindeuten. Festzustehen scheint, dass zum Crashzeitpunkt ein zügiger Nordostwind herrschte,
der unterhalb und westlich des Segnas-Passes, verbunden mit vertikalen thermischen Strömungen, zu starken Verwirbelungen bzw. Leeturbulenzen führte. Der Absturz des Flugzeuges erfolgte ja auf der Leeseite, südwestlich des Segnas-Passes.

Ich hatte vor Jahren an einem ca. 45 minütigen Rundflug mit der JU-52 teilgenommen, der über den Vierwaldstätter-See, die Rigi, Hausberg der Stadt Luzern und dann via das Alpsteingebiet zurück zum aargauischen Flugplatz Birrfeld führte. Während dieses Fluges wurde von den Fluggästen zwar sehr intensiv fotografiert, stets jedoch vom eigenen oder gegenüberliegenden Fenster aus. Niemand lief während des Fluges in das Heck der Kabine, um von dort aus Fotos zu schiessen. Eine Schwerpunktverlagerung durch zirkulierende Passagiere, wie in dem Presseartikel vermutet wird, halte ich daher für
äusserst unwahrscheinlich. Wohl luden die beiden Piloten nach und nach interessierte Fluggäste zum Besuch des Cockpits ein, was natürlich zu keinerlei relevanten Schwerpunktverlagerungen (nach vorne) führte.

Ein Video, das die letzten Sekunden bis, während und nach dem Absturz des Flugzeuges zeigte, stützt wohl die These kräftiger Rückenwinde westlich des Segnas-Passes. Die Staubwolke unmittelbar nach dem Aufschlag wurde von starken Winden fahnenartig sofort in westliche Richtung weggeweht. Eine unzulässige Schwerpunktverlagerung nach hinten könnte eher durch das Reisegepäck mit den während des Aufenthaltes im Tessin erworbenen Einkäufen - von der Besatzung unbemerkt - eingetreten sein.
Da die Ju-52 selbst bei Kriegseinsätzen ein schon sprichwörtlich robustes, ja fast unverwüstliches Transportflugzeug war, das selbst Ueberladungen relativ problemlos verkraftete, dürfte eine Schwerpunktverlagerung nicht ursächlich für den Absturz sein. Kräftiger Rückenwind beim Einleiten der dem Absturz vorausgegangenen Linkskurve, Lee- und thermische Turbulenzen sowie die dann nicht mehr ausreichende Fluggeschwindigkeit könnten wohl zum Strömungsabriss und für alle Insassen tödlichen Crash geführt haben.


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swisseagle
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Re: Ju 52 Absturz am Piz Segnas - Schweiz

Beitrag von swisseagle »

Vier Tage nach dem Absturz der Ju 52 HB-HOT hatte ich meine Interpretation des Umfallgeschehens ins Forum gestellt. Der jetzt veröffentliche Abschlussbericht der SUST (Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle) bestätigt nun meine seinerzeitige Analyse, die weder von mir als Flugsicherheitsexperte noch als Berufspilot sondern nur als langjährigen Segelflieger und Motorseglerpilot stammt (siehe nachstehenden Auszug aus meinem damaligen Beitrag). Meine Möglichkeiten, den Hergang des fatalen Crash's innert weniger Tage nachzuvollziehen, waren bescheiden und rein theoretisch, decken sich jedoch weitestgehend mit dem jetzt veröffentlichten Schlussbericht, an dem mehr als zwei Jahre lang gearbeitet wurde: Gute Kenntnisse des Geländes am Segnas Pass sowie der damaligen Wetterverhältnisse (straffer Nordostwind mit Verwirbelungen unterhalb der Westflanke, zusammen mit erheblichen thermischen Turbulenzen, zu niedrige Flughöhe bei reduzierter Fluggeschwindigkeit (offensichtlich um den Passagieren einen eindrücklichen Vorbeiflug am Martinsloch zu bieten), infolge der Enge des Tales erforderliche Umkehrkurve der voll besetzten Ju 52 mit starker Neigung um die Längsachse, deutlich sichtbarer Anstellwinkel um die Querachse in der finalen Linkskurve, typisches plötzliches Abschmieren durch Strömungsabriss über die linke Tragfläche ohne jede Chance, das Flugzeug aus dem senkrechten Absturz abzufangen, Staubwolke nach dem Aufschlag, die vom straffen Wind sofort in westliche Richtung weggetrieben wurde.
Sehr nachdenklich macht die Tatsache, dass dieser vermeidbare schwere Unfall ausgerechnet einer äusserst erfahrenen und mit der Militär- sowie der kommerziellen Zivilfliegerei vertrauten Cockpitbesatzung widerfahren konnte. Vielleicht kann sich zu viel Erfahrung auch dadurch kontraproduktiv auswirken, dass sich mit der Zeit zu viel Routine und oft auch eine "Haudegen-Mentalität" einschleicht, wobei dann fliegerische rote Linien überschritten werden.


Den Spekulationen über den Absturz der dreimotorigen Junkers will und kann ich mich nicht anschliessen. Für mich - und ich betone für m i c h - ist die Ursache jedoch ziemlich klar: Die Besatzung will ihren Passagieren auf dem Rückflug noch etwas Besonderes bieten und fliegt - eventuell mit reduzierter Reisegeschwindigkeit - unterhalb der Gipfelregion des Piz Segnas am sogenannten Martinsloch in der Felsflanke vorbei. Dann dreht die Ju 52 in eine Linkskurve nach Süden und gerät in den Rückenwind der Nordost-Strömung und zugleich in heftige Leeturbulenzen, was zum plötzlichen Strömungsabriss führt. Die Ju 52 schmiert über die linke Tragfläche ab und geht in einen senkrechten Sturzflug über, der mangels ausreichender Höhe über Grund nicht mehr abgefangen werden kann. Das Drama ist perfekt.


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